Hörer mailen – der Kolumnist antwortet

Vollkommen unerwartet leerte sich heute ein Füllhorn voller Beschwerdemails über mir. Es geschah direkt nach der Ausstrahlung meiner kleinen Glosse auf WDR 2, die ich ausnahmsweise mal nicht im Bewusstsein schrieb, damit jemanden zu verärgern. Ich fand sie einfach nur lustig. Es ging um das eigentlich belanglose Thema „Harte Arbeit“. Dies aber auch nur zweitrangig. Primär wollte ich einfach nur mal was lustiges über Brötchennamen machen. Hier zunächst mal der Text der Glosse:

Gibt es eigentlich noch richtig harte Arbeit? Ich frage mich das nur, weil Martin Schulz,  der Jesus aus Würselen, will, dass harte Arbeit wieder richtig entlohnt werden soll. Wenn ich die SPD so reden höre, von schwerer Arbeit, dann denke ich automatisch: Hochofen. Stahlkocher. Aber in diesem Land wird kein Stahl mehr gekocht. Von  Menschen. Gekocht wird hier höchstens Karotten-Ingwer-Suppe. Und wer kocht die? Der Thermomix. Nicht mal mehr in der eigenen Wohnung gibt’s noch richtig harte Arbeit. Staubsaugen? Macht der Staubsaugerroboter. Staubsaugerroboter reinigen? Macht der Staubsaugerroboterreinigungsroboter. Zähne putzen? Elektrische Zahnbürste. Es gibt die Spülmaschine. Elektrische Rollos. Brillenputzroboter. Treppenlift mit Tempomat. Und das Licht macht der Bewegungsmelder an. Was war das früher schweißtreibend, den Lichtschalter zu betätigen! Drei Tage lang Muskelkater im Finger. Ein Glück, dass wir das Licht nicht mehr selber anmachen müssen. Und wenn das Kind abends sein zugemülltes Kinderzimmer nicht aufräumen will, wird der Laubbläser angeschmissen. Man muss auch nicht mehr laufen, um den zu tragen. Man steht auf dem Segway. Die Beine müssen auch nicht mehr arbeiten. Was also meint die SPD, wenn sie von harter Arbeit spricht? Den Bäcker kann sie auch nicht meinen. Der knetet keinen Teig mehr, der taut tiefgefrorene Rohlinge auf, die aus derselben chinesischen Fabrik kommen wie das iPhone. Er denkt sich höchstens alberne Namen für diese Brötchen aus. Wenn ich Brötchen kaufe, komme ich mir vor wie ein Teletubbie. Wenn man mich fragt: „Und was bekommen Sie?“, rufe ich freudig erregt die Brötchennamen durch die Bäckerei. Anderen mag das peinlich sein. Mir nicht. „Ein Quarktöpfelchen, ein Rosinenmürbchen, einen Kraftprotz. Und einen Zimtwuppi.“ Ich weiß nicht, was ein Zimtwuppi ist, aber ich will einen. Ich lebe in einer Ecke der Welt, wo Frieden und Freiheit Normalität sind. Ich kann beim Bäcker laut „Zimtwuppi“ rufen, ohne dass sie mich abholen. Und: weil es immer mehr Bäckerläden gibt mit immer mehr unterbezahlten Bäckereifachverkäuferinnen, die richtig hart arbeiten müssen, um bei den immer bekloppter werdenden Brötchenwünschen ihrer Kunden nicht laut loszulachen, glaube ich, dass es zumindest seitens der Bäckereifachverkäuferinnen für die SPD richtig gut aussieht. Aber nur solange, bis die SPD auch diese Berufsgruppe so richtig schön verprellt hat.

Soweit so harmlos. Dachte ich. Und ich sollte mich irren. Zunächst die Mail von Frau Chr. Br., gesendet an die Moderatorin Steffi Neu. Weitergeleitet an mich und von mir mit Antworten versehen, die ich der Hörerin zugeschickt habe. Voila:

„Sehr geehrte Frau Chr. Br,

der WDR hat mir gerade Ihre Mail an Frau Neu weitergeleitet. Ihre vielen Zeilen verdienen es, respektvoll von mir Stück für Stück beantwortet zu werden. Los gehts:

Nachricht von Ch. Br.:
Sehr geehrte Frau Neu Ich habe gerade die Kolumne von Nils Heinrich (ich
hoffe, ich habe den Namen richtig verstanden…) verstanden.

>> Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sie verstanden haben. Meinen Namen haben Sie richtig verstanden, vielen Dank dafür. Aber: was sie da hörten war keine Regierungserklärung und keine Weltdefinition, sondern einfach nur ein kleines lustig gemeintes Stück, das sich im Zeitalter fortschreitender Automatisierung und Digitalisierung der Frage stellt, ob es wirklich noch ‚Harte Arbeit‘ gibt. Selbstverständlich ist mir klar, dass es unzählige Berufe gibt, in denen noch richtig körperlich hart gearbeitet wird. Davon ausgehend, dass das sicher jedem klar ist und ich das nicht mehr großartig sagen muss, weil es ja jeder weiß, habe ich die Zeile, die darauf hinwies, dass es durchaus noch Berufe gibt, in denen richtig hart gearbeitet wird, im letzten Augenblick noch gelöscht, weil sie mir zu welterklärerisch erschien und meinem kleinen Stück den Pfiff abhanden kommen ließ. Ja, ich persönlich habe die fragliche Zeile entfernt (gleich mehr dazu). Und das war wohl ein Fehler. Offenbar muss man heute alles erklären, weil die Leute es sonst in den falschen Hals kriegen.

Ich habe mich wahnsinnig darüber geärgert, dass Herr Heinrich sich über die „harte Arbeit“, die es ja angeblich in Deutschland nicht mehr gibt, auslässt. Ich kann gut verstehen, dass die Arbeit von Herrn Heinrich alles andere als „hart“ ist; im Sessel sitzen und den Kommentar, den ein Redakteur für ihn geschrieben hat vorlesen, stelle ich mir auch nicht so hart vor

>>> Da könnten sie richtig liegen, wenn es so wäre. Tatsächlich liegen sie aber knapp daneben, dann ich muss meine Texte leider selber schreiben, im Übrigen auf einem Sitzball sitzend. Schwer überlegend, welche Randgruppe ich diesmal nicht beleidigen darf. AfD-Fans, Impfgegner, im Internet kommentierende Rentner, Autofahrer sowie Deutsche im Großen und Ganzen hatte ich schon. Und auch die Ostdeutschen. Von denen ich selber einer bin. Oder aber ich schreibe die Glosse (ja, ich mache das selber – um mich nochmal zu wiederholen) zwischen zwei oder drei Auftritten im Zug. Denn es dürfte Sie überraschen, aber ich trete auch auf. Mit einem zweistündigen Bühnenprogramm. Vor Menschen, die das lustig finden. Ich verstehe auch nicht, warum die laut lachen, aber solange die das tun, mache ich das. Meinen schweren Koffer muss ich dabei selber in den ICE wuchten. Und auch wieder da raus. Denn ich habe kein Auto.  Und auch keinen Redakteur, der den Koffer für mich trägt. Ich mach das alles selber. Schön blöd eigentlich.

… Aber vielleicht sollte Herr Heinrich mal ein Praktikum als Krankenpfleger, oder als Polizist oder bei diversen anderen Berufen machen, die meiner Meinung nach alle „härter“ als Kommentar-Vorleser sind! Oder mal den job einer alleinerziehenden Mutter übernehmen. Bitte seien Sie so nett, dieses an Herrn Heinrich weiter zu geben. Mit freundlichen Grüßen
Ch. Br.

>>> Schön, dass sie mir ein Praktikum angedeihen lassen wollen, damit ich herausfinde, um wieviel härter es Menschen außerhalb meines Jobs als ‚Kommentar-Vorleser‘ geht. Sowas ist mir jedoch bereits vertraut, da ich mehrere Jahre in einer Backstube gearbeitet habe, direkt am Ofen, wo man durchaus mal 20 Kilo schwere Backbleche wuchten muss, die ganz nebenbei noch knapp 200 Grad heiß sind. An denen man sich richtig verbrennen kann, was mir auch mehrfach gelang. Zahlreiche Brandnarben an meinen Armen zeugen davon. Diese Narben waren vorher dicke eitrige Blasen, die man aufstechen musste, was echt wehtat. Und als Zivildienstleistender war ich so frei, alte und behinderte Menschen, gerne auch übergewichtig, anzuziehen, auszuziehen, auf das Klo zu heben, ihnen den Hintern abzuwischen, sie vom Klo runterzuheben, zu duschen und Ihnen ihre Hornhautfüße mit Melkfett einzucremen. Was ich nach meinem Zivildienst auch noch freiwillig in einem Ferienlager nur für Behinderte fortgeführt habe. Und weil Sie das Thema Kindererziehung ansprechen: Da meine Frau und ich uns zwei kleine Kinder zugelegt haben, verfüge ich – wenn man zwei Erwachsene und zwei Kinder durch zwei dividiert – auch einigermaßen über den Einblick in den Alltag einer alleinerziehenden Mutter. Wenn man so will. Wissen Sie eigentlich selber, was harte Arbeit ist, oder meinen Sie es nur zu wissen? Ich weiß es nämlich. Und ich habe es auch nicht vergessen. Ich bin da durchgegangen und darum darf ich darüber lachen. Bitte verzeihen Sie, dass ich Ihre Mail ebenso ernst beantwortet habe, wie Sie diese verschickten.

Danke fürs Lesen und fürs Zuhören.

Nils Heinrich

Das Schreiben dieser Mail bedeutete für mich drei Stunden harte Arbeit. Rückblickend hätte ich es einfacher haben können. Dreieinhalb Sätze hätten gereicht: „Vielen Dank für Ihre Mail. Ich bin leider der falsche Adressat, ich kann nichts für den Inhalt der Glosse, ich lese doch nur Texte vor, die andere für mich schreiben. Beschweren Sie sich bitte beim Autor.“ Hinterher ist man immer souveräner. Ein Hoch auf Antworten, die auf sich warten lassen.

/////

Herr M.E. schreibt bzw. spricht (vermutlich sehr erbost) in sein Telefon:

„Ich muss mich nicht beschimpfen lassen, dass ich nicht hart arbeiten würde. Aus welcher Motivaton erdreistet WDR 2 sich sowas? Ich hätte da gerne eine Rückmeldung, weil dieser Beitrag war absolut unverschämt.“

>>> Nunja, die Motivation von WDR 2 ist vermutlich Programmvielfalt, Meinungsfreiheit und Humortoleranz. Vermutlich müssen pro Tag irgendwie 24 Stunden Programm vollgemacht werden. Und man kann ja nicht immer nur Silbermond und Max Giesinger senden. Aber so genau weiß ich auch nicht, was für eine Motivation der Sender hat, um sich so zu erdreisten.

 

Nun noch Frau Br. A.-H., der ich ebenfalls per Mail geantwortet habe:

 

Sehr geehrte Frau A.-H., der WDR hat mir Ihre Mail weitergeleitet. Ich möchte zitierend darauf antworten:

Nachricht von Frau B. A.-H.:
Das macht mich richtig sauer. Von wegen es gibt keine harte Arbeit, dann geht mal in eine Krankenhausspülküche, wo die Frauen fast kochend heißes Geschirr aus dem Spüler raushieven müssen. Die Frauen werden behandelt, als wenn sie Menschen 2. oder 3. Klasse sind und schlecht bezahlt. Das ist ein richtiger Knochenjob und viele haben Artrose und ständig Rückenschmerzen.

>>> Ich weiß sehr wohl um solche Zustände. Ich habe sowas ähnliches sogar selber mal gemacht, nur mit dem Unterschied, dass es in der Backstube, in der ich Lehrling war, keine Spülmaschine gab (DDR, achtziger Jahre) und ich die mit verkrusteten Lebensmittelrückständen (Eiweiß härtet echt verdammt aus) eingesauten schweren Bäckereikessel mit bloßen Händen und kochend heißem Wasser reinigen musste. Mehrmals täglich, an fünf Tagen in der Woche. Man hat mich behandelt wie den letzten Dreck, denn ich war der einzige Lehrling in der ganzen Backstube. Das hat mich richtig sauer gemacht. Bezahlt wurde ich auch nicht gut. Außerdem nur mit DDR-Geld. Und meine Hände hat es rau gemacht. Von der verbrannten Haut und den abgebrochenen Fingernägeln will ich gar nicht erst reden.
Es gibt immer noch genügend Arbeitsplätze z.B auch am Bau, auch wenn heute
viel mit Maschinen gearbeitet . Mit über 50zig sind diese Leute körperlich
kaputt und dann heißt es zum umschulen zu alt, dabei sind es bis zur Rente
noch 17 Jahre. Also werden sie oft berufsunfähig und das bedeutet oft
arbeitslosigkeit bis zur Rente und dann eine Minirente. Und diese
Arbeitnehmer haben meist schon mit 15 angefangen zu arbeiten. Also soziale
Gerechtigkeit sieht für mich anders aus.

>>> Für mich sieht soziale Gerechtigkeit auch anders aus. Aber ich bin in dieser Hinsicht der falsche Adressat, ich bin kein Bauunternehmer, kein Gesundheitsminister und kein börsennotierter Krankenhausbetreiber und auch kein Inhaber einer Leiharbeitsfirma und schon gar kein reformbesessener Sozialdemokrat. Ich bin nur ein kleiner unbekannter Humorist, den die Radiohörer für einen Sprecher halten, der sich seine Glosse von Redakteuren schreiben lässt, um sie Dienstags ausgenüchtert einzusprechen, nachdem er sich Montags zwei Flaschen Wein reingepfiffen hat. Trotz alledem: Ich versuche weiterhin, den trostlosen Themen des Lebens etwas meiner Meinung nach Lustiges abzuringen. Mir ist klar, dass ich damit nicht jeden erreichen kann. Aber wenn der FC gegen Hertha gewinnt, freut sich auch kein Berliner. Allerbeste Grüße und Danke fürs Lesen und Zuhören. Nils Heinrich

Das Schlusswort in Sachen „heute sind alle so schnell beleidigt“ überlasse ich dem Kollegen Tobias Mann (Link klicken): https://www.youtube.com/watch?v=gPpK1G_e-jg

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